Naturschutz als Chance für Tourismus
27. November 2009
Das Biosphärenreservat Südost-Rügen möchte „Charta-Park für nachhaltigen Tourismus“ werden. OZ sprach mit den Initiatoren.
Das Biosphärenreservat Südost-Rügen beginnt in diesem Jahr damit, die Voraussetzungen zu schaffen, um 2012 von der Europarc Föderation mit der Charta für nachhaltigen Tourismus ausgezeichnet zu werden. Dazu wird ein Leitbild für einen nachhaltigen Tourismus unter Einbezug der Interessen aller Partner in der Region erstellt.
OZ: Was ist eigentlich die „Charta für nachhaltigen Tourismus“?
Dagmar Hartmann: Mit der Europäischen Charta als Label für europäische Schutzgebiete werden Regionen, die sich für einen nachhaltigen Tourismus engagieren, ausgezeichnet. Die Hauptziele sind das natürliche und kulturelle Erbe zu schützen und zu entwickeln, die positiven ökonomischen und sozialen Auswirkungen des Tourismus zu fördern, die Lebensqualität der einheimischen Bevölkerung zu verbessern und marktgerechte touristische Angebote zu entwickeln.
Der Beitritt zur Charta verlangt eine Stärken- und Schwächenanalyse, die Formulierung von Entwicklungszielen und die Erarbeitung eines Fünf-Jahres-Maßnahmenplans. Diese Aufgaben müssen in enger Kooperation mit allen relevanten und interessierten Akteuren aus der Region gemeinsam bearbeitet werden. Die „Foren für nachhaltigen Tourismus“ stehen dabei im Mittelpunkt der Arbeit. Hier können und sollen sich alle Interessierten engagieren.
OZ: Warum macht das Biosphärenreservat das?
Hartmann: Für das Biosphärenreservat ist das zentrale Element der Europäischen Charta der Gedanke der Partnerschaft und der Kommunikation in der Region. Die nachhaltige Entwicklung des Tourismus in unserem Landstrich ist eine herausragende Aufgabe für uns, denn ein attraktives Urlaubsziel zu sein, heißt auch eine hohe Verantwortung für den Lebensraum zu haben, in dem wir leben und wirtschaften. Hier ist der Verlust von biologischer Vielfalt und attraktiven Landschaften immer gleichbedeutend mit dem Verlust an Attraktivität für die Urlaubsdestination. Eine nachhaltige Entwicklung jedoch basiert auf Ausgewogenheit von Schutz und Nutzung. Wenn es also gelingt, unsere Gastgeber und Reiseanbieter mit Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg für den Schutz ökologisch wertvoller Gebiete und die Idee einer eigenständigen Regionalentwicklung zu gewinnen, können wir gemeinsam unsere Gäste für den nachhaltigen Tourismus begeistern. Auch regionale Produkte, Traditionen und Dienstleistungen können auf diesem Weg in Wert gesetzt werden. Bei nachhaltiger Tourismusentwicklung geht es also um ein Modell dafür, wie Schutz durch Nutzung und Nutzung durch Schutz verbessert werden können.
OZ: Wer ist an der Erstellung des Leitbildes beteiligt?
Hartmann: Der Prozess findet unter der Federführung des Biosphärenreservates statt. Darüber hinaus sind alle Gemeinden, die im Biosphärenreservat liegen, in einer zentralen Steuerungsgruppe vertreten. Zur Durchführung und Begleitung des Leitbildprozesses haben wir uns kompetente Unterstützung geholt: die dwif-Consulting GmbH. Das dwif (Deutsches Wirtschaftswissenschaftliches Institut für Fremdenverkehr) kennt sich im Land und in der Region sehr gut aus. Neben umfangreichen Projekten zum Tourismus in Großschutzgebieten bereits in den 90er Jahren hat es nicht nur die Tourismuskonzepte für Rügen und Sellin erarbeitet, sondern soeben auch die Fortschreibung der Landestourismuskonzeption MV 2015 fertig gestellt. Im Übrigen begleitet das dwif auch dieselben Aktivitäten für die Region des Müritz-Nationalparks. Das Biosphärenreservat Südost-Rügen profitiert also von den Synergieeffekten.
OZ: Was ist das Ziel des Leitbildprozesses?
Hartmann: Uns allen ist die herausragende Bedeutung unserer vielfältigen Landschaft bewusst und welch ein touristisches Potential in unserem besonderen Naturraum liegt. Das Ziel soll die optimale Nutzung der gegebenen Chancen bei gleichzeitiger Minimierung der vorhandenen Risiken sein. Erforderlich ist die Herstellung einer Balance zwischen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Ansprüchen im Sinne des Prinzips der Nachhaltigkeit. Das Leitbild fungiert dabei als gemeinsam geschaffene Zukunftsvision. Es soll Perspektiven aufzeigen, neue Chancen eröffnen und alle relevanten Beteiligten ins Boot holen.
OZ: Werden die bestehenden Tourismuskonzepte der Orte hinfällig?
Feige: Nein. Sie werden selbstverständlich einbezogen, die teilweise anstehende Aktualisierung wird sogar vom Leitbildprozess unmittelbar profitieren. Es ergeben sich somit für alle Orte Impulse, auch für konkrete Projekte zur Verbesserung der Marktchancen im Tourismus.
OZ: Ist das Leitbild ein Gegengutachten zur Gründung der Tourismusgenossenschaft Mönchgut- Granitz?
Feige: Ganz und gar nicht. Die Genossenschaft schafft die organisatorischen Grundlagen für das erfolgreiche gemeinsame Handeln in der Region. Das Leitbild soll diese Organisation unterstützen.
OZ: Wie sieht der Terminplan aus?
Feige: Am 4. Dezember von 13 bis 17 Uhr wird im Haus des Gastes in Baabe der erste Workshop mit Vertretern der Region stattfinden. Inhalt wird eine Bewertung der derzeitigen Situation sein.
Daraufhin formuliert das dwif die Grundlage für ein Leitbild, zu dem Ende Januar 2010 der zweite Workshop stattfindet. Der Entwurf liegt im Frühsommer vor und wird bis August 2010 fertig gestellt.
Interview: GERIT HEROLD